Ukrainer gestalteten Begegnungsfest für ihre Wittichenauer Gastgeber

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die im März vergangenen Jahres in Wittichenau Zuflucht fanden, haben sich Mitte Dezember mit einem Fest bei ihren Gastgebern und den Organisatoren der Flüchtlingshilfe in Wittichenau bedankt. „Wir wollen zeigen, dass wir noch da sind, dass wir leben und unser Lebenswille nicht gebrochen ist“, übersetzte Dolmetscher Alexander Kozak den Wunsch der Ukrainer.

Über Wochen hatten die ukrainischen Familien unter der Anleitung von Daria Verbych ein Bühnenprogramm einstudiert. Die 29-jährige studierte Choreographin war vor ihrer Flucht zwölf Jahre lang Tänzerin am musikalisch-dramaturgischen Theater in Schytomyr und trainierte neben ihrer Arbeit am Theater Kindertanzgruppen. Sie selbst tanzt seit dem vierten Lebensjahr. Zum Begegnungsfest am 17. Dezember im Jakubetzstift brachte sie mit Kindern und Erwachsenen traditionelle ukrainische Volkstänze auf die Bühne und begeisterte mit gemeinsamem Gesang. Auch ein Lied der ukrainischen Sternsinger war dabei, zu dem die Kinder mit einem aufwändig gebastelten Stern zwischen ihren Gästen in Polonaise durch den Bennosaal zogen.

Tänze und Lieder aus der Ukraine rühren die Wittichenauer zu Tränen

Zu ihren Tänzen und Liedern ließen die Ukrainer Bilder ihrer Heimat einblenden und Dolmetscher Alexander aus der Geschichte ihres Landes erzählen und aus der Chronologie russischer Repressionen. Ukrainerin Tanja hatte mit Helfern aufwändig verzierte Kuchen gebacken – darunter eine mehrstöckige Torte in den ukrainischen Nationalfarben. Zum Abendbrot brachte das Restaurant „Grüner Wald“ aus Bernsdorf ukrainische Nationalgerichte – von Borschtsch, über Holubzi (Krautwickel) bis Warreniki (Teigtaschen).

Das Fest bot dank des Übersetzers Alexander die Gelegenheit mehr vom Schicksal der Ukrainerinnen und Ukrainer und den Umständen ihrer Flucht zu erfahren.

Auf der Flucht mit fünf Kindern

So berichteten Olga (40 Jahre) und Alexander (42 Jahre), dass sie mit ihren fünf Kindern in überfüllten Zügen aus ihrer Heimatstadt Charkiw aus dem Osten der Ukraine geflohen sind. In dem Stadtteil, in dem sie lebten, stand noch viel, als sie los sind, erzählt Alexander. Der Krieg, die Zerstörung war noch nicht ganz bis zu ihnen vorgedrungen. Dabei hatten sie schon einen Raum ihrer Wohnung verbarrikadiert und die Fenster verbrettert. Bei Luftalarm suchten sie dort Schutz. Zehn Tage lang habe Alexander auf seine Frau eingeredet mit ihm fortzugehen, berichtet der Familienvater. „Dableiben, das können wir wegen der Kinder nicht“, hatte er ihr gesagt. Als sie auf der Flucht durch stärker zerbombte Stadtteile fuhren, wurde ihnen bewusst, welchem Risiko sie sich ausgesetzt hatten.

Nun sind Olga und Alexander froh ihre Familie in Sicherheit gebracht zu haben: Alexej, Vassilisa, Maria, Vladimir und Konstantin – die beiden Jüngsten sind gerade mal ein Jahr alt, der älteste Sohn ist neun. Olgas und Alexanders Eltern seien aber noch in Charkiw. Sie können nur noch etwa aller drei Tage miteinander telefonieren, sagt Alexander. Stromversorgung und Mobilfunk in ihrer Heimat funktionieren durch das Bombardement der Russen nur noch eingeschränkt.

Beeindruckt von der Kinderfreundlichkeit der Wittichenauer

Alexander arbeitete zu Hause in einer Textilfabrik. Der Betrieb, in dem er beschäftigt war, stellte Jacken und Kleidung für die Stadt und das ganze Umland her, berichtet er stolz. Alexander schnitt die Muster für die Näher zu. Es war ein harter Job. Alexander arbeitete zwischen 6 und 22 Uhr – oft auch am Wochenende, um seine Familie ernähren zu können. Umgerechnet 1.000 Euro verdiente er so im Monat. „Uns ging es gut vor dem Krieg“, sagt der 42-Jährige.

In Wittichenau seien ihm auch schon Jobs angeboten worden. Er hätte in einem Supermarkt oder im Möbelwerk bei MAJA anfangen können. Doch Alexander sagt, seine Frau brauche ihn daheim, um die Kinder zu hüten. Auch verstehe er noch zu wenig Deutsch, um sich auf einer neuen Arbeitsstelle verständigen zu können. Und doch sagt die Familie, sie habe sich in Wittichenau gut eingelebt. Sie seien dankbar, dass die Leute ihnen hier so offen und freundlich begegnen, sagen Olga und Alexander. Besonders beeindruckt sind sie, wie hier mit ihren Kindern umgegangen wird – dass sie auf der Straße angelächelt und angesprochen werden. Diese Zuwendung, das seien sie aus Charkiw nicht gewohnt.

Von einer Granate verletzt

Die Flucht von Vassili und Darina, beide 31 Jahre alt, verlief dramatischer. Sie erzählen, dass sie aus Mykolajiw im Süden der Ukraine stammen. Vassili zeigt ein Röntgenbild auf seinem Handy: Seine Schulter. Dort wo das Schultergelenk sitzen sollte, ist ein Loch. Er zeigt ein Foto seines Zuhauses. Davor parkt ein weißes Auto – völlig durchlöchert. Eine Granate sei auf ihrem Grundstück eingeschlagen, berichten Vassili und Darina. Vassili ist davon am Oberarm verletzt worden. Ein Teil der Schulter wurde weggesprengt, das Schulterblatt durchlöchert. Splitter trafen Kopf und Gesicht. Seine Frau habe sich gerade noch so ins Haus retten können und sich schützend über ihren vierjährigen Sohn Daniel geworfen.

Vassili wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort wurden auch immer mehr verletzte Soldaten eingeliefert. Die Frontlinie lag noch ein gutes Stück südlich. Doch die Soldaten warnten ihn: „Die Russen, sie kommen.“ Da zögerte Vassili nicht lange. Er rief seine Frau an: „Sofort raus hier! Geh!“ Darina packte hastig das Nötigste und floh nach Osten. Sie sagt: „Ich fuhr ins Ungewisse“. Von ihrem Mann im Krankenhaus verabschiedete sie sich per Videotelefonie. Und obwohl sie sich nicht noch einmal in den Arm nehmen konnten und sich Darina völlig unvorbereitet auf den Weg machte, zählt sich das Paar zu den „Glücklichen“. „Wir konnten entscheiden, ob wir gehen. Woanders waren die Russen von einem auf den anderen Tag da“, sagen sie.

Keine Hilfe in polnischen Krankenhäusern

Später fanden sie in Krakau wieder zueinander. Vassili versuchte in vier polnischen Kliniken Hilfe zu finden. Doch seine Verletzungen sind so schwer, dass die Ärzte sagen: „Wir können Ihnen nicht helfen.“ Die einzige Hoffnung: Fachärzte weiter im Westen. So ziehen Vassili und Darina über Tschechien weiter nach Wittichenau, wo schon Verwandte Zuflucht gefunden hatten.

Von den im März durch die Initiative „Vereint helfen“ mit einem Reisebus nach Wittichenau gebrachten Kriegsflüchtlingen leben fast alle noch in Wittichenau. Nur wenige zogen weiter oder gingen im Herbst zurück in die Ukraine. Aktuell leben noch 45 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Stadt und den Ortsteilen – darunter viele Kinder. Nachdem die meisten zuerst bei Gastfamilien aufgenommen worden waren, wohnen viele inzwischen in Miet- oder Ferienwohnungen.

Unser Verein unterstützt die Ukrainer dabei, Deutsch zu lernen

Etliche haben eine Arbeit gefunden. Viktoria arbeitet im Supermarkt. Oksana ist Lehrerin an der Grundschule und arbeitet im Besucherdienst im Malteserstift. Hier hat auch Darina eine Anstellung gefunden – die studierte Sozialpädagogin arbeitet dort als Altenpflegerin. Ingenieur Vassili kann für seinen bisherigen Arbeitgeber aus der Ukraine übers Internet von Wittichenau aus weiterarbeiten. Er plant große Kühltheken für Supermärkte.

Wöchentlicher Sprachkurs mit drei Lehrern

Dass die Ukrainerinnen und Ukrainer in Wittichenau zu einer starken Gemeinschaft wurden, liegt auch daran, dass sie sich wöchentlich im Jakubetzstift beim Sprachkurs begegnen. Seit März werden die Erwachsenen hier einmal in der Woche von Alexander Kozak aus Haselbachtal in Deutsch unterrichtet. Alexander stammt aus Odessa, lebt seit 20 Jahren in Deutschland und ist Lehrer an der Grundschule in Panschwitz-Kuckau. Parallel unterrichtet Bernadett Wolf die ukrainischen Kinder und Anne Menzel die Jugendlichen. Mit Spielen und Übungen bringen sie ihnen zum Beispiel die Zahlen und Farben auf Deutsch bei, sie vermitteln ihnen wie Gemüse- und Obstsorten deutsch heißen. Beim Zubereiten von Salaten in der Kursküche wird angewendet, was die Kinder und Jugendlichen eben gelernt haben.

Ermöglicht wird das durch unseren Verein. Wir finanzieren die Sprachkurse teils aus Spenden- teils aus Fördergeld der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Wir haben außerdem arrangiert, dass die Ukrainer regelmäßig im Jakubetzstift zu einem Begegnungsabend zusammenkommen können. Dann wird aufwändig gekocht und zu Abend gegessen. Die Kinder haben Zeit zum gemeinsamen Spielen oder zum Tanzen mit Daria.


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